Vor kurzem fuhr ich in das nahe bei Baia Mare befindliche
Dumbrăvița, um gemeinsam mit einer Bekannten ihr gerade in Bau befindliches
Lehmhaus zu besuchen.
Als ich erstmals davon hörte, dass sie sich ein Haus in traditionell „vaiog“ genannten Lehmziegeln bauen lässt, war ich sofort interessiert, denn es gibt nicht viele Menschen, die so eine Bauweise in Betracht ziehen würden. Das Bauen aus Lehm, vor allem aus Lehmziegeln, wird gemeinhin als veraltet angesehen und mit ärmlichen Verhältnissen in Verbindung gebracht – sozusagen, wenn einem nichts anderes übrigbleibt. Als ich Claudia fragte, warum sie diese Bauweise gewählt hat, erzählte sie mir von der Zeit, als sie bei den Großeltern in ihrem Lehmhaus aufgewachsen ist, bis sie 7 Jahre alt war. Dort, in Cavnic, sind die Winter noch härter als in Baia Mare und der Schnee stand in den 60er Jahren bis zu 2 Meter hoch. Das sei ihr in Erinnerung geblieben und sie habe sich immer ein Lehmhaus gewünscht. Diese Entscheidung habe mehr intuitiv, als rationell stattgefunden – und da es hier in der Gegend traditionell vieler solcher Häuser gibt, war es leichter jemanden zu finden, der diese Technik beherrscht, als ein Haus in einer anderen natürlichen Bauweise zu bauen, wie z.B. aus Strohballen.
Claudia hätte es vorgezogen, ein traditionelles Fundament aus Stein zu haben, doch dieses war preislich nicht leistbar. In drei Monaten schaffte es Marcel mit zwei Helfern das gesamte Haus zu mauern – danach wurde das Dach aufgesetzt. Bis zur Fertigstellung des Daches war es notwendig das Haus immer wieder mit Plastikplanen vor dem Regen zu schützen, aber, in diesem Fall zum Glück, war es ein sehr heißer und trockener Sommer.
Die Außenwände sind unverputzt 45 cm dick und erhalten ihre Stabilität durch die spezielle „Verflechtung“ (Bauen im Verband) der einzelnen Steine und Reihen. Sie sind tragend, wie auch die 30 cm starken Zwischenwände – das heißt sie tragen die Dachbalken und das Dach, das auf einem Gurt-Ring aus Holz auf den Außenwänden lagert. Zur zusätzlichen Stabilisierung sind stellenweise Stahlstäbe, wie sie in der Betonbewehrung eingesetzt werden, in die Wände mit eingebaut und mit dem Gurt-Ring verbunden.
Durch die große Speichermasse des Lehms und das Stroh in den Lehmziegeln, sowie durch die großzügige Wanddicke, haben die Wände die Eigenschaft im Sommer das Haus kühl zu bewahren und im Winter warm. Diese Eigenschaft konnte man bereits während der Bauphase spüren, als es im Haus deutlich kühler war als draußen, obwohl noch nicht einmal die Fenster eingesetzt sind.
Der
Skeptizismus gegenüber natürlichen Baustoffen betrifft hauptsächlich:
Es gibt eine Menge Vorurteile gegenüber traditionellen Materialien und Bauweisen. Viele von ihnen stammen auch aus einem allgemeinen Image-Verlust oder der Assoziierung von Modernität mit industriellen Baustoffen. Ich möchte hier einige dieser Vorurteile beleuchten und überprüfen, welche Sorgen begründet sind und welche nicht.
Manche Probleme, die „alte Häuser“ aufweisen, wie dass sie kalt und feucht sind, können durch eine richtige Anwendung der Bautechnik und der Baustoffe behoben werden. Diese haben sich durch die Kenntnisse und Möglichkeiten erweitert, die durch Studien, Forschungen und die Erfindung neuer Materialien (z.B. erdölbasierter Materialien, die als Abdichtungen zum Einsatz kommen, die es früher nicht gab).
Wir können natürliche Baustoffe, wie es Lehm oder Stroh sind, auch streng durch die Brille ihrer bauphysikalischen Eigenschaften betrachten. Wir können ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften analysieren, wie bei jedem anderen Baustoff, und dann die entsprechenden Schlüsse über ihren Einsatz in Baukonstruktionen ziehen.
Ohne sich zu sehr in Details zu verlieren, lässt sich feststellen, dass Lehm durch seine mikroskopische Struktur einerseits eine sehr hohe Plastizität besitzt – im feuchten Zustand fühlt er sich wie Plastilin an – jedoch durch die Austrocknung andererseits sehr hart wird. Teilchen die kleiner als 1/2000 mm sind verhalten sich wie kleine Platten, die entweder aufeinander gleiten, wenn Wasser im Spiel ist, oder aufeinander haften, wenn das Material austrocknet. Dieser Prozess ist unendlich oft wiederholbar, anders als bei Zement, der einmal hart, nicht mehr durch Zugabe von Wasser plastisch wird.
Diese Eigenschaft kann als Vor- aber auch als Nachteil gesehen werden. Denn: Es ist ein Vorteil, dass man Lehm immer wieder aufbereiten kann – Ausbesserungsarbeiten werden dadurch auch für den Laien möglich und benötigen nicht viel Kenntnisse, außer ein bisschen Übung. Doch diese Eigenschaft macht den Lehm auch empfindlich gegenüber unkontrolliert eindringendem Wasser. Es kann, wenn das über längere Zeit passiert, den Lehm langsam wegspülen und die Konstruktion beschädigen. Man muss aber auch wissen, dass Lehm auch eine gewisse Dichtigkeit gegenüber Wasser besitzt. Lehm wird daher auch als Abdichtungsmaterial verwendet – und jeder weiß, dass sich in einer Lehmgrube Wasser sammelt – eine wichtige Eigenschaft für die Haltung des Grundwasserspiegels z.B. oder für die Entstehung von Seen und Teichen. Es muss schon über längere Zeit unkontrolliert erodiert werden, am besten durch fließendes Wasser, damit er weggespült und abgetragen wird. Die Stampflehm-Häuser von Martin Rauch, die unverputzte, nicht geschützte Außenwände aus Stampflehm besitzen, sind ein beeindruckendes Beispiel, wie robust dieses Material sein kann. Die Erosion des Lehms wird hier durch kleine Steinplatten-Vorsprünge in den einzelnen Schichten verhindert.
Trotzdem: Bei einem ganz oder teilweise aus Lehm gebauten Haus ist der Schutz vor Nässe und Feuchtigkeit einer der zentralen Aspekte. In der Konzeption des Gebäudes, während der Bauphase und auch danach, in der Benutzung. So sollte ein ausreichend großer Dachüberstand eingeplant werden, um die Wände vor Beregnung zu schützen, sowie das Fundament sorgsam ausgeführt und vom Untergrund abgehoben und feuchtigkeits-isoliert werden. Nassräume sollten im Spritzwasserbereich nicht mit Lehm verputzt und ungeschützt belassen werden. Hier empfiehlt sich die Versiegelung durch Techniken wie Tadelakt oder gleich das Verputzen mit hydraulischen Bindemitteln (industrielle Putze mit Zement- oder Kalkanteil) und Verfliesen.
Durch das Beachten dieser Eigenschaften, können Lehm und andere natürliche Baustoffe gezielt und korrekt eingesetzt werden, damit wir von ihren Eigenschaften profitieren können. Womit wir bei den positiven Aspekten wären:
Lehm gleicht die Feuchtigkeit in der Raumluft besser aus, da er aufgrund seiner hohen Kapillarität schnell Wasser aufnehmen und wieder abgeben kann. Manchen Quellen zufolge kann er temporär auch Gerüche und Schadstoffe binden.
Lehm ist ein Baustoff, der überall im Überfluss vorhanden und relativ leicht zugänglich und verarbeitbar ist. Weder liegt er übermäßig tief unter der Erde, noch muss man ihn aufwendig aufbereiten, z.B. erhitzen oder mahlen oder chemisch aufbereiten. Es gibt Techniken, die unkompliziert erlernbar sind und ohne großen Maschinenaufwand einsetzbar sind. Durch eine Gruppe von Menschen lässt er sich innerhalb vernünftiger Zeit aufbereiten – das heißt zerkleinern und mit Stroh, eventuell Sand und Wasser mischen. Fehlendes Budget kann dadurch mit Arbeitseinsatz kompensiert werden. Fehlender persönlicher Arbeitseinsatz kann, wie immer, durch Einsatz finanzieller Mittel kompensiert werden. Man kann auch alles vorfertigen und montieren lassen, wenn einem das lieber ist. Doch ich sehe gerade in der Möglichkeit der Selbstbauweise eine Selbstermächtigung und einen Vorteil. Nicht zuletzt besitzen Lehmhäuser eine wohnliche, einladende Atmosphäre, die die meisten Menschen sofort spüren. Durch die Plastizität und die Eigenschaften des Lehms bietet es sich an mit ihm formgebend und kreativ zu arbeiten, wodurch viele Häuser organischere, natürliche und skulpturale Formen erhalten. Somit bietet dieses Material die ideale Möglichkeit, ästhetische Vorstellungen, entsprechend dem individuellen Geschmack eines jeden Menschen, gestalterisch umzusetzen.
Zur Langlebigkeit: Es gibt überall auf der Welt Lehmhäuser, Holzhäuser und sogar Strohballenhäuser, die Jahrhunderte (das älteste Strohballenhaus ist 100 Jahre alt) überdauert haben und noch immer benutzt werden. Im Falle des Strohballenhauses ist es ein Jahrhundert, Lehmhäuser und vor allem Häuser aus Holz(-Fachwerk) mit Lehm-Strohgemischen als Ausfachung gibt es zahlreiche, die bis zu 500 Jahre alt sind und noch immer bewohnt werden.
Die Kombination von Holz, Lehm und Stroh bzw. Pflanzenfasern, ist eine der ältesten existierenden Techniken und ebenfalls überall auf der Welt verbreitet. Damit hat die Menschheit am meisten Erfahrung gesammelt – man kann also auf einen riesigen Erfahrungsschatz zurückgreifen, inklusive jenem, der durch modernste Analyse- und Messmethoden in den letzten Jahrzehnten dazu gekommen ist.
Auch der Einfluss von Nagern und anderen Tieren wird überbewertet – Stroh, in dem Zustand, wie es eingebaut wird, kann als frei von anderen Pflanzenresten und Samen, wie eine reine Zellulose betrachtet werden, die noch dazu dicht verpresst ist. Viele professionelle Firmen reinigen und entstauben die Strohfasern zusätzlich! Hier hätten Nager eigentlich am wenigsten Interesse und Möglichkeit sich einzunisten. Sie könnten auch in herkömmlichen Häusern ausreichende Gelegenheiten finden, um dies zu tun.
Neben den schon beschriebenen Vorteilen, die uns Naturmaterialien zu bieten haben, ist für mich ein wesentlicher Aspekt, die Erschöpfung unserer Lebensgrundlage, durch eine sinnvollen Energie- und CO2-Ersparnis, sowie den Rückgriff auf natürliche, erneuerbare und im Überfluss vorkommende Rohstoffe, nicht weiter voranzutreiben.
Ich bin Claudia dankbar dafür, dass sie sich für diese Bauweise entschieden hat, womit sie sich mit ihrem neuen Haus nicht nur selbst viel Gutes tut und Freude schaffen wird, sondern mit ihrem mutigen Schritt darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zum Natur- und Umweltschutz leistet!